Weit über der Schüssel Rand

Prof. Dr. Heinrich Dederichs (Bild: Thilo Schmülgen/FH Köln)

Nach 23 Jahren an der Fachhochschule Köln geht Prof. Dr. Heinrich Dederichs Ende Juli in den Ruhestand. Unzähligen Studierenden hat er in dieser langen Zeit vermittelt, dass Ingenieure eine Verantwortung tragen, die über das bloße Funktionieren von Technik weit hinausgeht – und dass Ästhetik, gerade die Schönheit der Sprache, das Leben bereichert.

Sind Ingenieure technikgläubig? Manche, das mag sein. Für Prof. Dr. Heinrich Dederichs gilt das ganz bestimmt nicht. "Wir kriegen unsere Probleme nicht einfach mit immer mehr Technik gelöst, sondern nur durch sinnvolleren Einsatz von Technik",  sagt der Elektrotechniker, der nach 23 Jahren an der Fachhochschule Köln Ende Juli in den Ruhestand geht. Technik, sagt Dederichs, sei bei weitem nicht immer ein Segen. Und dabei fällt ihm ein Beispiel sofort ein: "Schauen Sie sich doch bloß mal die Fahrkartenautomaten bei der Bahn an!"

Seit 1992 hat er Studierenden die Grundlagen der Elektrotechnik beigebracht. Und es habe ihm viel Spaß gemacht. Aber um die Technik als Selbstzweck ging es ihm nie. Immer ist sie verbunden mit der Frage nach der persönlichen Verantwortung. "Menschen müssen wissen, warum sie etwas tun. Das ist gerade für Ingenieure wichtig, denn nicht wenige von ihnen landen ja schließlich in der Rüstungsindustrie."

Prof. Dr. Heinrich DederichsProf. Dr. Heinrich Dederichs (Bild: Thilo Schmülgen/FH Köln)

Dass der Nutzen für die Gesellschaft – oder, höher gegriff en: für die Menschheit – nie aus dem Blick geraten soll, hat Dederichs auch in seinem letzten Semester zum Seminarthema gemacht. Darin ließ er die Studierenden ermitteln, wie viel Kraftwerkskapazität man eigentlich zusätzlich bräuchte, wenn wirklich irgendwann alle Autofahrer in Deutschland mit Elektroautos unterwegs sein sollen. Wirklich umweltfreundlich sind die ja nur, wenn der Strom dafür auch erneuerbar erzeugt wird. Kommt die Elektrizität aus der Braunkohle, dann hilft nur noch die Werbeformel "lokal emissionsfrei" als Feigenblatt. Das Ergebnis der Berechnungen war, dass 4.800 Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von jeweils drei  Megawatt notwendig wären. Das bedeutet, dass man allein für die E-Autos die Produktion von Windstrom in Deutschland noch einmal um ein Drittel steigern müsste. Für die 4.800 Windräder wäre wohl allenfalls auf hoher See noch Platz.

Das führt zurück zu dem eingangs zitierten Grundsatz. Nicht bloß immer mehr Technik, sondern kluger Einsatz derselben. Effizienz erhöhen, Verschwendung reduzieren. Da ist der Ingenieur als Forscher und Entwickler, aber auch als Verbraucher und Bürger gefragt. Es kommt eben nicht von ungefähr, dass das Festkolloqium zu Ehren von Dederichs den Titel "Interkulturelle gesellschaftliche Verantwortung im Ingenieurberuf" trug.

Erfolgreich gegen das Nicht-Gönnen

Verantwortung, das ist ein Begriff, der sich  durch Leben des nach eigener Aussage "gut katholisch aufgewachsenen" Niederrheiners zieht. Nach dem Studium und der ersten wissenschaftlichen Station, beides an der RWTH Aachen, verbrachte Dederichs sieben Jahre in der Industrie. 1992 begann er seine Laufbahn an der Fachhochschule Köln, wo er den Blick nicht bloß auf sein Fachgebiet richtete.

Von 2002 an war er zwölf Jahre lang Dekan der Fakultät für Informations-, Medien- und Elektrotechnik. In diese Zeit fielen große Veränderungen, die einen starken Kommunikator brauchten: Die Zusammenlegung zu Fakultäten, fast zeitgleich die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge. In der neuen Fakultät gingen drei Bereiche auf, die "sehr heterogen" gewesen seien, sagt Dederichs. Etwa 50 Professoren mussten sich zusammenfinden, und in ihren Sitzungen sei es oft heiß hergegangen. Aber zwei Prinzipien waren wichtig, damit zusammenwuchs, was erst einmal für kaum jemanden zusammengehörte.

"Wir reden miteinander, nicht übereinander. Und wir bekämpfen die Kultur des Nicht-Gönnens. Beides ist gelungen." Diesen Erfolg schreiben viele in der Fakultät heute ganz wesentlich Dederichs zu. Zu seinen Mitteln, so scheint es, gehört auch immer ein gesunder Pragmatismus. "Unser Ziel ist die Ausbildung junger Menschen, nicht das Abhalten von Sitzungen", sagt Dederichs.

Jeden Monat ein Gedicht

Vielleicht hat auch die Tatsache geholfen, dass der heute 65-Jährige immer schon weiter über der Schüssel Rand hinausschaute als manch anderer. Ob historische, philosophische oder sozialwissenschaftliche Themen, Dederichs interessiert sich dafür. Nicht zuletzt auch für Literatur, noch genauer: Lyrik. Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal fallen ihm als erste ein, wenn er nach den größten Dichtern gefragt wird. "Das ist sprachlich einfach wundervoll!" – sagt's und tritt den Beweis an. Rilkes Spanische Tänzerin zum Beispiel.

Wie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß, / eh es zur Flamme kommt, nach allen Seiten / zuckende Zungen streckt – beginnt im Kreis / naher Beschauer hastig, hell und heiß / ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten.

Bei drei Kindern, vier Enkeln, einem Lehrauftrag und einiger Reiselust ist die Frage nach den Plänen für den Ruhestand ab August eigentlich überfl üssig. Aber einen wichtigen Programmpunkt gibt es eben noch: Jeden Monat ein Gedicht auswendig lernen.

Text: Werner Grosch

Juli 2015

Ein Artikel aus dem Hochschulmagazin


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